Mobile Welten oder das Museum unserer transkulturellen Gegenwart
Um in die Gegenwart zu wirken, sucht das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) immer wieder den Dialog und reflektiert seine Rolle als Kultur- und Bildungseinrichtung. 2015 lud das MKG den Ausstellungsmacher und Kritiker Roger M. Buergel ein, mit der Vielfalt und der Geschichte der Sammlung des MKG zu arbeiten. Buergel war 2007 künstlerischer Leiter der documenta 12 und ist heute Direktor des Johann Jacobs Museums in Zürich. Gemeinsam mit der Kultursoziologin Sophia Prinz hat Roger M. Buergel ein Ausstellungskonzept entwickelt, das die eurozentrische Ordnung westlicher Museen in Frage gestellt: Anstatt die Dinge wie bisher üblich nach Epochen, Geografien sowie Kunst und Nicht-Kunst einzuteilen, wird die globale Bewegung von Objekten, Menschen und Ideen in Geschichte und Gegenwart sowie die damit einhergehende Verflechtung von kulturellen Formen und Lebenswelten in den Mittelpunkt gerückt. Diese Perspektive spiegelt die soziale, kulturelle und politische Komplexität der postmigrantischen Gesellschaft. Die Ausstellung wird dabei als ein Medium verstanden, das es erlaubt, Dinge, Texte und Bilder wie in einer dreidimensionalen Collage performativ miteinander zu verknüpfen. Auf diese Weise scheinen historische Bewegungskurven und gesellschaftliche Zusammenhänge auf, ohne dass die rund 200 Exponate auf eine einzige Bedeutung oder Lesart festgeschrieben würden. Mit der Ausstellung Mobile Welten oder das Museum unserer transkulturellen Gegenwart findet das Projekt in Zusammenarbeit mit den Kuratoren des MKG sowie Künstlern und weiteren externen Partnern im April seinen Abschluss.
Im Geist der Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts gegründet, deckt die Sammlung des MKG die verschiedensten kulturellen Geografien und deren jeweilige Zeitrechnungen ab – vom europäischen über den islamischen bis zum fernöstlichen Kulturraum. Diese Sammlung, zu der so unterschiedliche Dinge zählen wie hellenistische Vasen, frühneuzeitliche Musikinstrumente, indische Textilien, chinesisches Porzellan und moderne Rasierapparate, fügt sich nicht in die tradierten museologischen Einteilungen wie „Kunst“, „Kunsthandwerk“ oder „ethnologische Artefakte“. In dieser Durchmischung liegt für das Projektteam von Mobile Welten die eigentliche Stärke des MKG. „Der enzyklopädische Charakter der Sammlung“, so Buergel, „eröffnet die Möglichkeit einer Überwindung der eurozentrischen Konzeption der Institution ‚Museum‘ eröffnet.“ Eine Überwindung, die notwendig sei, „will das Museum seinem Bildungsauftrag unter Bedingungen einer transkulturellen Realität nachkommen. Das Abschütteln der etablierten museologischen Raster und das Hinterfragen des eigenen Selbstverständnisses aber ist schwierig.“ Zunehmend sei die Institution Museum auf Wissensformen angewiesen, die nicht aus der akademischen Welt stammen, aber die Dynamik des transkulturellen Alltags umso besser erfassen und bewältigen können. Das Ziel eines solchen enzyklopädischen Museums liegt für Mobile Welten darin, mit einer Vielzahl gesellschaftlicher Akteure die Komplexität der globalen Gegenwart zu erschließen und deren unterschiedliche historische Herkünfte und Verknüpfungen zu vermitteln. Die Moderne bildet den Schlüssel zu diesen Verknüpfungen. Jedoch stellt sie für das Projektteam keine westliche Errungenschaft dar, sondern resultiert aus einer globalen Ko-Produktion, die nicht immer freiwillig erfolgte. „Sie ist geprägt durch imperialistische Expansion und Kolonialismus, was sich an sämtlichen westlichen Museumssammlungen mit enzyklopädischem Anspruch mehr oder minder deutlich ablesen lässt“, so Buergel.
Die Exponate der Ausstellung entstammen einem transkulturellen Zwischenreich, das sich den Austauschbeziehungen zwischen Norden und Süden, Osten und Westen verdankt und keine kulturelle Identität kennt. Hier regiert eine Unbestimmtheit, die den Dingen Raum gibt für ein bewegtes Eigenleben und fließende Bedeutungen. Mobile Welten erhebt diese Unbestimmtheit zur Methode: Der Ausstellung liegt keine zentrale These, kein Sujet und keine zusammenhängende Erzählung zugrunde. Vielmehr geht sie teils forschend, teils spekulativ, teils ausschweifend, teils präzise den formalen Affinitäten und historischen Beziehungen zwischen den Dingen nach. Wichtige Impulse dafür liefern Künstler und andere Experten unseres transkulturellen Alltags, denen es gelingt, gegensätzliche Realitäten zu verknüpfen und Bedeutungsabgründe zu überbrücken.
Werden die etablierten Begriffe aufgelöst, so steht man vor der Herausforderung, neue Setzungen treffen zu müssen — ganz ohne Ordnung kommt auch das Experiment Mobile Welten nicht aus. Die Abteilungen der Ausstellung ergeben sich aus einem Arbeitsprozess. Sie sind einerseits von den Eigenheiten der Sammlung des MKG geprägt, andererseits entsprechen sie den ästhetischen Vorlieben, politischen Sensibilitäten und Erkenntnisinteressen der am Prozess beteiligten Akteure. Die neuen Abteilungen markieren jene Punkte, an denen sich die Reiserouten von Dingen, Menschen, Praktiken und Ideen kreuzen: Chinahandel, Pseudoschrift, Der Preis der Ordnung (im Museum), Boteh, Sueskanal, Meiji und später, Elfenbein, Bagdadbahn, Amargî, Afro-Brasil, Haare, Hamburg und umzu, Ein Schiff wird kommen und Töne.
Wird das Museum als transkulturelle Szene neu gedeutet, so kommt der Frage der Vermittlung eine besondere Bedeutung zu. Der Anspruch, aus dem Zentrum zu sprechen, gehört noch immer zum Selbstverständnis der Institution „Museum“. Heute geschieht dies jedoch weniger belehrend als über die Einladung zur Partizipation. Dabei stellt sich die Frage, wer dabei zu wessen Bedingungen partizipiert: Ist es allein das Publikum, das vom Museum lernt? Oder könnte nicht auch das Museum, gerade in Bezug auf transkulturelle Erfahrung, viel von seinem Publikum lernen? In diesem Sinne setzt das Vermittlungsprogramm auf die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen auf vielen Ebenen. Als Expertinnen und Experten des transkulturellen Alltags befragt etwa eine Gruppe von Schülern der Erich-Kästner-Schule in Hamburg-Farmsen nicht nur die Museumsexponate auf ihre Aktualität. Sie erforschen auch die transkulturelle Dingordnung ihrer eigenen Lebenswelt. Das Ziel dieser vielschichtigen Zusammenarbeit ist es, die Ordnung des Museums an der einen oder anderen Stelle herauszufordern, um neuen Sichtweisen Platz zu machen. Im Rahmen von Mobile Welten haben sie in folgenden Formaten gearbeitet: Beste Freunde | Durchbrochen, Samurai, Glänzend – Tsuba ordnen | Farewell Farmsen | Farmsen Fashion Week.
Weitere Kooperationen entlang der Schnittstelle von transkulturellen Artefakten und gesellschaftlicher Realität entstehen mit verschiedenen Künstlern und künstlerischen Initiativen aus Hamburg und aller Welt, die sich an einer Archäologie der Gegenwart versuchen und deren Arbeiten in einen fruchtbaren Austausch mit den Artefakten des MKG gesetzt werden.
Mobile Welten ist eine Kooperation zwischen dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG), der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder, der Goethe-Universität in Frankfurt/Main sowie der Erich-Kästner-Schule in Hamburg-Farmsen. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Johann Jacobs Museum Zürich. Das Projekt begann im Oktober 2015 und endet im September 2018 mit der Sonderausstellung Mobile Welten oder das Museum unserer transkulturellen Gegenwart im MKG.
Die Ausstellung läuft vom 13. April bis 14. Oktober 2018.
Info: www.mobile-welten.org